Thema: Apple iPad
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#42
Alt 16.04.10, 23:58:09
Pestilence
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Pokemaniac
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Ein Artikel aus der gestrigen Ausgabe der ZEIT:

Gott liebt die Zeitung
JOSEF JOFFE: Sonst hätte Er unserer Zunft
nicht das rettende iPad geschenkt


Im Hype um das iPad hat sich auch unser Feuilleton
(ZEIT Nr. 15/10) hinreißen lassen und Steve Jobs
mit dem lieben Gott verglichen. Hatte nicht jemand
das »Wunderding wie einen Kultgegenstand in den
Himmel gereckt«? Wie ein »flach gepresstes Tabernakel
«, die Stiftshütte, wo die Gesetzestafeln aufbewahrt
wurden? Die religiöse Deutung ist eine
metaphorische Täuschung, die Verwechslung von
Symbol und Sache. Das iPad kann jeder gefahrlos
befummeln, aber wie Indiana Jones im Verlorenen
Schatz lehrte, bringt allein das Berühren der Bundeslade
den Tod, das Berühren der Tafeln sowieso.
Dennoch birgt das Pad ein Heilsversprechen,
wiewohl ein profanes, weil es die Papier-Zeitung
retten kann. Die Zeitungskrise ist keine konjunkturelle,
sondern eine stete; in 20 Jahren ist die
hiesige Auflage um ein Drittel gefallen. Zwei bis
drei Prozent pro Jahr beträgt der Verlust in der
westlichen Welt. Schon vor der Finanzkrise, 2007,
wurde in Amerika bei den Werbeeinnahmen der
schlimmste Absturz seit 1950 gemeldet.
Eine Faustregel besagt: Etwa die Hälfte der
Kosten hat mit Papier zu tun, vom Kauf über das
Bedrucken bis zum Verteilen. Das ist just der Anteil,
der mit Werbung finanziert wird. Und die
flüchtet aus Print. Zeitungen und Journalisten
wird es immer geben, aber sie werden sich vom
Papier trennen wie einst vom Bleisatz. Das geht
nicht? Die Zukunft lässt sich auf Sports Illustrated
Tablet Demo 1.5 in YouTube anklicken.
»Hallo«, sagt die Stimme des Chefredakteurs,
»hier ist Ihr neues Heft.« Ein klassisches Titelbild
erscheint auf dem iPad. Auf Knopfdruck sprintet
der Football-Spieler los, während das Stadion
röhrt. Touchdown! Jetzt »gucken wir rein ins Heft«.
Ein klassisches Inhaltsverzeichnis: Bild und Schrift.
»Sie können die Abfolge selber bestimmen« – oder
blättern wie in einem richtigen Heft.
Die Titelgeschichte: Reichlich Text, wie immer,
aber hinter jedem Foto versteckt sich eine Galerie,
die auf Papier keinen Platz gefunden hätte. Der
Finger wischt, und wir sind beim Baseball. »Wollen
Sie dieses Bild an Ihr Archiv mailen?« Der
Finger zeichnet einen roten Kreis um das Bild, eine
Tastatur für die Adresseingabe springt auf den
Schirm. Auch die Werbung erwacht zum Leben –
und könnte so der siechenden Print-Reklame ein
neues schenken. Zum Schluss: »Abonnieren Sie!«
Billiger und schneller geht Marketing nicht.
Warum das die Zukunft ist? Kulturpessimisten
mögen Mut fassen: Es verschwindet nicht der Text,
sondern das Papier. Der Journalist auch nicht, aber
die Zunft wird demnächst nicht nur recherchieren,
sondern auch Regie führen. Sie wird nicht in »toten
«, sondern beweglichen Bildern denken. Sie
wird vom Papier in die dritte Dimension springen,
wo hinter jeder Seite unzählige andere warten. Das
fordert nicht weniger, sondern mehr Köpfchen.
Aber die Jobs werden nicht verschwinden, weil nur
das Papier »gefeuert« werden muss, um die Werbeverluste
auszugleichen.
Mit dem klobigen iPad geht das noch nicht,
aber es wird so abspecken wie der iPod und trotzdem
exponentiell an Speicher und Tempo zulegen.
Das Nachsehen wird der Ressortleiter haben. »Wir
haben leider keinen Platz für Ihre Geschichte« ist
in der Terabyte-Welt eine platte Lüge.
Hier das genannte Video aus dem Artikel:

"Es ist gelogen, dass Videogames Kids beeinflussen. Hätte PAC MAN das getan, würden wir heute durch dunkle Räume irren, Pillen fressen und elektronische Musik hören!"
(Kristian Wilson, Nintendo Inc., 1989)